Grazer Frauenpreis-Siegerinnen werden Testimonial für „Wir retten die Welt! Bist du dabei?“-Kampagne
Mit Sarah Kampitsch und Anna Majcan unterstützen zwei junge Aktivistinnen die Image-Kampagne des Social Business Hub Styria, die im Jahr 2022 vom Referat für Frauen & Gleichstellung der Stadt Graz für ihr innovatives Ausstellungs-Projekt „Galerie gegen Sexismus“ mit dem Grazer Frauenpreis ausgezeichnet wurden. Mit den „Catcalls“, die sie von Betroffenen zugeschickt bekommen und an den Orten des Geschehens auf den Boden schreiben, machen sie auf verbale sexuelle Belästigung im Alltag aufmerksam. Im folgenden Gespräch erzählen sie vom progressiven Umgang mit dem Tabu-Thema „Sexuelle Belästigung“, wieso die Sensibilisierung für das Thema schon im Kindesalter beginnen muss und warum ihnen nachhaltiges Wirtschaften persönlich so am Herzen liegt.
Warum glaubt ihr, dass sich gerade euer Projekt „Galerie gegen Sexismus“ bei der Verleihung des Grazer Frauenpreises gegen die anderen durchgesetzt hat?
Anna: Ich glaube, ein Hauptgrund war, dass wir mit unserem Projekt sehr viele Menschen jeden Alters erreicht haben. Viele feministische Initiativen haben ganz tolle Projekte aufgezogen, die sich auf eine spezielle Gruppe an Personen beziehen. Mit unserer großen Reichweite auf Social Media erreichen wir besonders junge Menschen zwischen 12 und 30 Jahren. Mit der öffentlichen Darstellung von sexueller Belästigung auf den Straßen und der „Laufkundschaft“ unserer Galerie gegen Sexismus zusätzlich sehr viele Personen jeden Geschlechts und jeden Alters. Unsere Arbeit ist sehr niederschwellig und wir versuchen immer ganz viel Verständnis mit hinein zu bringen, damit sich auch Menschen damit auseinandersetzen, die sich bisher noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben – und die dadurch nicht sofort abblocken. Ich glaube, dass das der entscheidende Aspekt war, der zur Prämierung geführt hat.

Sarah, du hast ja ursprünglich mit „Catcalls of Graz“ begonnen, einer Initiative, die sehr öffentlich verbale sexuelle Belästigung ankreidet. Wie ist es dazu gekommen?
Sarah: Ich habe überall auf der Welt schon selbst „Catcalling“ und sexuelle Belästigung erlebt und habe auf Instagram „Catcalls of NYC“ kennengelernt, wo es ursprünglich gestartet hat. Es wurde dann auch schnell in anderen Städten kopiert, was dazu führte, dass eine große Community entstanden ist, die sich „Chalback.org“ nennt und der wir auch angehören. Ich habe mir dann einfach gedacht, vielleicht gibt es in Graz auch einige Frauen, denen das passiert ist und leider haben sich dann wirklich viele gefunden. Es gibt auch nach drei Jahren noch viele, die uns Nachrichten schreiben und erzählen, was ihnen in Graz passiert ist. Seit 2021 sind wir auch ein Verein.
Wie sind eure Aktionen anfangs angenommen worden? Ist das für manche weiterhin ein Tabu-Thema, über das man nicht redet oder war die Mehrheit froh, dass es nun diese Plattform gibt?
Sarah: Ich glaube beides. Manche haben uns sofort Nachrichten geschickt. Einige davon haben erzählt, dass sie sich vorher noch nie getraut haben, offen über das Thema zu reden. Das ist ja auch unser Anspruch: Menschen, die betroffen sind, zu zeigen, dass man sich dafür nicht schämen muss. Wir bekommen ja leider angelernt, dass es unsere Schuld als Frau ist, wenn man sexueller Belästigung ausgesetzt ist. Man findet immer einen Grund, warum es unsere Schuld ist. Die meisten haben auch einfach Angst, sich zu äußern. Deswegen freuen wir uns, dass viel mehr Frauen sich trauen, uns Nachrichten zu senden, weil wir damit sehen, dass sich wirklich nachhaltig etwas ändert.
Wie war die mediale Resonanz auf die ersten „Catcalls“?
Sarah: Generell sind Medien auf uns zugekommen, weil Menschen angefangen haben, darüber zu reden und unsere Reichweite gestiegen ist. Vor allem als wir einen „Catcall“ direkt bei der Messe aufgeschrieben haben, haben wir sehr viele Follower:innen sowie Aufmerksamkeit bekommen. Da sind viele Journalist:innen vorbeigegangen und das war sehr wichtig, denn danach sind wir von vielen kontaktiert worden. Oder auch beim Rathaus oder öffentlichen Plätzen, wo Menschen vorbeigehen – da sind dann viele von selbst auf uns zugekommen.
Bewusstseinsbildung sollte in diesem Bereich wahrscheinlich schon früh beginnen. Ab welchem Alter kann man Kinder dafür sensibilisieren?
Anna: Ich würde sagen, dass man schon ab dem Volksschulalter ansetzen kann – jetzt nicht explizit auf sexuelle Belästigung, aber schon auch in dieser Richtung der persönlichen Grenzen. Was ist okay? Wo fängt meine Privatsphäre an? Was sind Aussagen, die ich persönlich als problematisch empfinde? Wichtig ist auch zu lernen, das dann auch einordnen zu können. Weil ich glaube, wenn man sexuelle verbale Belästigung oder sexuelle Gewalt & Co. in jungen Jahren erfährt, dann kann man das oft nicht einordnen. Wenn man „Catcalls“ eben auf der Straße empfängt, dann ist man erstmal perplex und fragt sich, was das jetzt ist und ob man daran Schuld ist. Wenn man schon ganz ganz früh lernt, dass es nicht in Ordnung ist und dass keine Person von sexueller Belästigung betroffen sein soll und darf und dass man auch nicht Sender:in von sexueller Belästigung sein soll, dann glaube ich, dass wir in unserer Gesellschaft sehr viel erreichen können. Und wir können viel weiter sein, wenn wir schon früh mit der Sensibilisierung anfangen.
Sarah: Ich denke, es geht auch viel um Respekt. Wir hören auch immer wieder, dass Eltern eher gegen diese Sensibilisierung für das Thema sind, weil sie nicht wollen, dass ihre Kinder dem ausgesetzt werden. Andererseits werden sie dem ohnehin auf jeden Fall ausgesetzt. Da ist es doch gut, wenn sie gerade in dem Alter, in dem sexuelle Belästigung beginnt, darauf aufmerksam gemacht werden – und es passiert eben teilweise schon bei Volksschulkindern. Wenn man da schon ansetzen kann und zeigt, wie wichtig es ist, Respekt gegenüber anderen Personen zu haben – egal ob dies jetzt in Richtung Sexismus geht, Rassismus oder Diskriminierung von beeinträchtigten Personen.
Bewusstseinsbildung ist sicher auch für Männer sehr wichtig, weil ihnen einige Dinge einfach nicht automatisch bewusst sind.
Sarah: Bei der „Galerie gegen Sexismus“ war es besonders toll zu beobachten, dass Männer bei der Ausstellung teilweise die Augen geöffnet worden sind, weil ihnen das Thema einfach nicht bewusst war. Gerade, wenn sie es selber vielleicht nicht machen, fällt ihnen das oft nicht auf oder sie kriegen das gar nicht in ihrem Umfeld mit. Es ist in ihrer Realität einfach nicht vorhanden und deswegen schwierig, es als Problem wahrzunehmen. Viele haben das auch als Anlass genommen, mit ihren Freundinnen und Partnerinnen über das Thema zu sprechen und zu fragen, wie sie dies erleben. Und dass sie sich bemühen, auch ihre Freund:innen darüber aufzuklären und einschreiten, wenn sie es irgendwie doch mitkriegen. Das ist voll schön, denn ohne Männer funktioniert es nicht. Wir können Gleichstellung oder Gleichberechtigung nicht ohne Respekt erzielen und erreichen, wenn nicht alle mitspielen.
Was sind eure nächsten Ziele?
Sarah: Wir möchten auf jeden Fall weiter Bewusstseinsbildung betreiben. Vor allem auch weil wir glauben, dass wir in Graz mittlerweile schon einen großen Zuspruch sehen. Anhand der Arbeit von anderen Frauenorganisationen sehen wir, dass das auch anerkannt ist. Wir möchten die „Galerie gegen Sexismus“ wieder aufbauen. Das war auch unser Anspruch und das wurde ja auch bei der Rede von Bürgermeisterin Elke Kahr beim Grazer Frauenpreis erwähnt.
Anna: Die neue „Galerie gegen Sexismus“ soll noch breit gefächerter werden was die Themenbereiche betrifft, die wir hineinnehmen und sie soll größer aufgezogen sein, vielleicht mit mehr Kooperationen mit anderen Menschen. Die vorige „Galerie gegen Sexismus“ haben wir nur zu dritt gestaltet. Und vielleicht können wir sie auch über einen längeren Zeitraum und etwas präsenter in der Innenstadt veranstalten.
Wir haben sehr viel mit Social Entrepreneurs zu tun, die sich das Ziel gesetzt haben, mit ihren Produkten und Dienstleistungen sozialen oder ökologischen Impact zu erzeugen. Wie wichtig ist es für die Gesellschaft, dass es solche Menschen gibt?
Sarah: Extrem wichtig. Ich habe mich selbst sehr stark mit Social Entrepreneurship beschäftigt und ich finde es extrem wichtig, weil es wirklich in die Wirtschaft eingreift und man das auch nachhaltig machen kann. Man kann ein Unternehmen auch mit gesellschaftlichem Impact aufbauen und trotzdem erfolgreich sein und davon leben. Ich glaube, dass wir immer noch wirtschaftlich viel zu große Player haben, die den Markt ruinieren, die aber nicht unbedingt Wert auf Sustainability legen, sondern eher auf Kapital. Deshalb finde ich, ist es total wichtig, dass sich da etwas ändert und dass Social Entrepreneurs präsent sind und zeigen, dass es auch anders geht. Man kann zum Beispiel klimaneutral wirtschaften und sich bemühen, dass der Mensch im Fokus steht. Unsere Umwelt ändert sich zum Negativen und wir müssen etwas dagegen tun. Und wenn es die Großen nicht schaffen, dann müssen es eben die Kleinen machen. Ich merke auch, dass es ein Trend ist, und dass die „Großen“ dann vielleicht doch irgendwie bemerken, dass es so auch funktioniert und so den Druck von unten spüren.
Wie wichtig sind eurer Meinung nach Organisationen wie der Social Business Hub Styria, die das Social Business Ökosystem unterstützen und eine Anlaufstelle für Menschen sind, die mit ihrer Idee die Welt nachhaltig im positiven Sinn verändern möchten?
Sarah: Extrem wichtig. Einfach weil ich glaube, dass eben ganz viele im Ehrenamt bleiben, wenn sie eine gute Idee haben oder sich zum Beispiel zu einer NGO ausbilden. Manche glauben eben, dass sie dabei kein Geld verdienen dürfen, weil das was sie machen ja etwas Soziales ist und dass es etwas Negatives ist, wenn es monetarisiert wird. Deshalb finde ich es total wichtig, dass es solche Anlaufstellen wie den Social Business Hub Styria gibt, die präsent sind und zeigen, dass es auch anders funktioniert.
Weitere Infos: https://www.facebook.com/catcallsofgraz

Zur Person:
Sarah Kampitsch (geboren am 25.09.1994 in Villach) ist Redakteurin, Social Media & Content Creator, Aroma-Klang-Praktikerin und Künstlerin mit starkem Drang, funktionierende Metaphern zu verändern. Als Initiatorin von „Catcalls of Graz“ setzt sie sich gegen Genderstereotype und Sexismus ein. Ihre Social Business-Affinität verdankt die studierte Ethnologin neben der Zertifizierung „sea:certificate“ der Social Entrepreneurship Akademie in München auch der Mitarbeit an der Etablierung von „Sindbad Graz“, einem Mentoringprogramm für Jugendliche, sowie ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Pressesprecherin des „Social Impact Awards“. Ihr erstes Buch „himmelgrau“ erschien 2022 im Himal Hemp-Verlag.
Anna Majcan (geboren am 12.08.1998 in Feldbach) ist Absolventin des Tourismuskollegs Bad Gleichenberg, sammelte Auslandserfahrung in England, Mexiko und Sri Lanka und machte sich nach ihrer Rückkehr nach Österreich 2019 mit der Gründung des innovativen Catering-Betriebs „Pop Up Gschichtln“ einen Namen. Als „Steirerkraft Rezepte Rockerin 2021“ vereinte sie ihre Leidenschaft zur Weltküche mit ihrer Liebe zu nachhaltigen und regionalen Lebensmitteln. Aktuell studiert die begeisterte Aktivistin BWL in Graz und arbeitet als Rezepteentwicklerin und Foodstylistin. Mit ihrem Engagement bei diversen feministischen Projekten, u.a. des FemRef der Karl-Franzens-Universität Graz und natürlich als Obfrau bei „Catcalls of Graz“ setzt sie sich stark gegen Genderstereotype und für die feministische Bewegung ein.